Kennenlernen der Synthese-Engine von Sculpture

In diesem Kapitel soll Ihnen gleich ein Gefühl für die Arbeitsweise von Sculpture vermittelt werden. Die hier vorgestellten Konzepte sollten Sie verinnerlicht haben, bevor Sie sich den Features und den Parametern von Sculpture systematisch nähern.

Sculpture verwendet ein Klangerzeugungsverfahren namens Component Modeling. Dieser Ansatz bei der Klangerzeugung ermöglicht es, ein physisches Modell eines akustischen Instruments, beispielsweise eines Cellos oder einer Geige, zu erzeugen. Sie können also ein virtuelles Instrument schaffen. Die Parameter der Komponenten, etwa die Länge des Halses, das Material, aus dem das Instrument besteht (Holz oder Metall), der Durchmesser, die Spannung und das Material, aus dem die Saiten bestehen (Nylon oder Stahl) sowie die Größe des Instruments können modelliert werden.

Zusätzlich zu den physischen Eigenschaften des Instruments können Sie bestimmen, wie und wo es gespielt wird, also ob es gestrichen, gezupft, in dünner Höhenluft oder unter Wasser gespielt wird. Andere Aspekte wie Finger-Griffgeräusche und Vibrato können ebenfalls emuliert werden. Sie können das Instrument sogar mit einem Drumstick anschlagen oder den Klang einer Münze simulieren, die auf den Steg fällt, wenn Sie möchten.

Sculpture ist nicht auf Instrumente beschränkt, die es schon im wirklichen Leben gibt. Sie können die Komponenten nach Belieben kombinieren und so bizarre Hybrid-Instrumente schaffen, etwa eine zwei Meter lange Gitarre mit einer Bronze-Glocke als Korpus, die Sie mit einem Filz-Hammer anschlagen.

Wenn Sie eine endlos sich weiterentwickelnde Textur für eine Filmmusik oder den ultimativen Raumschiffstart-Sound brauchen, sind Sie mit Sculpture genau richtig bedient.

Mit Sculpture können Sie aber auch traditionellere Synthesizer-Sounds erzeugen. Diese profitieren vom Ansatz des Physical Modeling, der stets dazu tendiert, den Klang über die Zeit organisch zu entfalten und musikalisch auf die Anschlagsdynamik zu reagieren. Dies resultiert in entspannten, warmen Flächen, tiefen und runden Synthesizer-Bässen sowie starken Lead-Sounds.

Wie ein akustisches oder elektrisches Instrument erzeugt Sculpture Klänge mithilfe eines Objekts (Fingerspitze, Wind, Drumstick oder Geigenbogen), um ein anderes Objekt, etwa ein Rohrblatt oder eine Saite, zum Schwingen anzuregen.

Hinweis: Das zur Schwingung angeregte Objekt wird der Einfachheit halber immer als "String" (Saite) bezeichnet.

Wie bei Instrumenten, die man anfassen kann, besteht der Klang aus mehreren Elementen. Es ist eben nicht nur die Saite, die für die Klangfarbe maßgeblich ist, sondern es gibt weitere Objekte, die das Schwingungsverhalten oder den gesamten Klang beeinflussen.

Denken Sie beispielsweise an eine Gitarre mit Stahlsaiten, die Sie abwechselnd mit dem Daumen zupfen und dann mit den Fingern anreißen. Eine Gitarre mit Nylon-Saiten oder eine zwölfsaitige Gitarre würde signifikant anders klingen. Wenn Sie sich nun vorstellen, wie die Saiten auf das Griffbrett herabgedrückt werden, ändert sich nicht nur der Akkord, sondern die Saiten werden auch kurzfristig gedehnt, was den Ton beugt. Maßgeblich ist auch der Korpus des Instruments und wie seine Resonanzeigenschaften den Ton beeinflussen. Andere Elemente wie Größe und Typ des Schalllochs (kreisrund oder als F-Loch), die Fingergeräusche auf den Saiten und der Ort, an dem die Gitarre gespielt wird, nehmen ebenfalls Einfluss auf den Klang.

Sculpture ermöglicht Ihnen, die physische Konsistenz aller beteiligten Komponenten des Instruments zu modellieren. Das ist das Konzept der Component-Modeling-Synthese.

Figure. Diagram showing the signal flow of the core synthesis engine.

In der Abbildung ist der Signalfluss der Sculpture-Klangerzeugung dargestellt. Probieren Sie am besten gleich alle Parameter aus, während Sie darüber lesen, um ein Gefühl dafür zu erhalten, wo sie sich befinden und was Sie damit machen können.

Nach der Stimulation der Saitenschwingung wird diese durch zwei bewegliche Tonabnehmer (Pickups) abgenommen, wie man sie von der E-Gitarre, E-Pianos oder dem Clavinet kennt.

Die Pickups senden das Signal an den Verstärker mit ADSR-Hüllkurve, ein Waveshaper mit wählbarer Kennlinie und ein Multimode-Filter. All dies dient dazu, den Klang wie eine Skulptur zu modellieren.

Hinweis: Jede Stimme verfügt separat über einen eigenen Satz dieser Elemente.

Die Summe aller Stimmen kann mit einem integrierten Delay-Effekt versehen werden. Dem Delay nachgeschaltet ist ein EQ-ähnliches Modul (der Body EQ), das global die spektralen Eigenschaften bzw. den Klangkörper des Instruments formt. Das resultierende Signal wird schließlich in einen Level Limiter geführt.

Es stehen zahlreiche Modulationsquellen zur Verfügung, von den mit dem Projekttempo synchronisierbaren LFOs über Jitter-Generatoren bis hin zu aufzeichenbaren Hüllkurven. Diese können die String- und die Objekteigenschaften, das Filter und andere Parameter betreffen. Sie können sogar Modulationsquellen modulieren.

Eine aufzeichenbare Morph-Funktion erlaubt weiche oder abrupte Übergänge zwischen bis zu fünf Morph-Punkten. Ein Morph-Punkt ist im Grunde ein Set mit Parameter-Einstellungen zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Bevor Sie sich mit den Parametern von Sculpture vertraut machen, ist es wichtig zu verstehen, dass die Interaktionen zwischen den verschiedenen Komponenten der Component-Modeling-Synthese enger miteinander verzahnt sind als bei anderen Syntheseverfahren. Dies kann zu einzigartigen Sounds führen, aber man muss wissen, dass manchmal eine kleine Parameteränderung genügt, um den Sound ganz grundlegend und womöglich unerwartet zu verändern.

Daher müssen Sie in Sculpture überlegter vorgehen als bei einem traditionellen Synthesizer, bei dem das Herumspielen mit den Parametern immer wieder zu nützlichen Sounds führt. Nehmen Sie das Signalflussdiagramm zur Hand, während Sie sich mit der Bedienungsoberfläche und den Programmen vertraut machen. Wenn Sie systematisch vorgehen, indem Sie beispielsweise dem Signalflussdiagramm folgen, sollten Sie sich schnell und ohne unerwartete Ergebnisse einarbeiten können.

Sculpture ist ein Performance-Synthesizer, der sich die Controller, Modulationen und verschiedene Spieltechniken zunutze macht. Nehmen Sie sich die Zeit, um mit allen verfügbaren Bedienelementen und Parametern zu experimentieren, sowohl beim ersten Durchhören der mitgelieferten Presets als auch beim Erstellen Ihrer eigenen Sounds.

In mehreren Tutorials können Sie die Klangprogrammierung in Sculpture üben. Siehe Sculpture-Tutorial: Kurzanleitung für die Klangprogrammierung. In diesem Abschnitt finden Sie alles, was Sie wissen müssen, um sich mit den Möglichkeiten zur Sound-Gestaltung in Sculpture vertraut zu machen. Das Erzeugen verschiedener Typen von Grundinstrumenten wird in mehreren Abschnitten erläutert. Siehe Sculpture-Tutorial: Erzeugen von Grundklängen. Detailliertere Informationen zur Programmierung bestimmter Sound-Typen finden Sie unter Sculpture-Tutorial für Fortgeschrittene: Programmieren von E-Bässen und Sculpture-Tutorial für Fortgeschrittene: Programmieren von synthetischen Klängen. Sculpture besitzt ein umfangreiches Arsenal von Modulationsoptionen. Weitere Informationen zu diesen Funktionen finden Sie unter Sculpture-Tutorial: Modulationen.

Sculpture ist ein Instrument, das Ihnen eine gewisse Einarbeitung abverlangt, Sie dafür aber mit wundervoll warmen und organischen Klängen, sich entwickelnden Klangtexturen oder harschen und metallischen "Hell's Bells" belohnt – falls es Sie nach solchen Klängen gelüstet.

Scheuen Sie sich nicht davor, mit den Möglichkeiten zur Klanggestaltung zu experimentieren – denn genau dafür wurde Sculpture geschaffen!